Das Land der Regenbogen

Autor unbekannt

Der Weg ins Land der Regenbogen ist weit! rief ein kleiner Junge dem alten weisen Mann entgegen, der nun schon seit Stunden zum Geschichtenerzählen genötigt wurde. "Genau!" erwiderte dieser lachend - und weißt du auch, du vorwitziger kleiner Kerl, wie du ihn findest? "Oh, das ist einfach", sagte der Dreikäsehoch, du läufst immer da lang, wo deine Nase dich hinführt, und kommst du an eine Mauer, so mußt du sie wegdenken!" Triumphierend schaute er den alten Mann an, der kopfschüttelnd den Kleinen betrachtete. Eigentlich war er auf der Durchreise gewesen, und wollte gar nicht lange verweilen, ein bißchen Brot für die Reise wollte er erwerben, ein wenig Käse und eine Flasche Rotwein - die den Geist beruhigte, wie er sagte. Doch hatten die Kinder wohl noch nie einen durch die Lande ziehenden gesehen in diesem kleinen, adretten Dorf - und so war er alsbald umringt gewesen von einer Schar neugieriger kleiner Kröten, die ihn mit ihren Fragen schier durchbohrten... Lieb waren sie gewesen, und doch ein wenig fad in seinen Augen, diese netten, versorgten, etwas leblosen Kinder - kleine Abbilder waren sie derer, die sie erzogen. In den Augen des kleinen Jungen sah er indes dieselbe unruhige Flamme, dieselbe Rastlosigkeit, die er auch von sich kannte. Und er staunte nicht schlecht, als er hörte, der Kleine habe kein Zuhause mehr, gelte als ein wenig wunderlich und würde nicht richtig ernst genommen. Zögernd fragte er weiter: "Und? Was willst du im Regenbogenland, kleiner Freund? - den Topf voll Gold holen, nehme ich an?" "Ach, du bist dumm! rief da der Kleine verächtlich - was soll ich mit Gold, wenn ich dort alles sein kann, was ich will? Nein, ich will die Farben haben, die der Regenbogen hat, will schillern wie er und dann ein eigener kleiner Regenbogen werden, an dem die Menschen sich erfreuen"... sagte er - und plötzlich trat Angst in die Augen des Kindes - die Angst nicht verstanden zu werden... Der Alte nahm einen tiefen Zug aus seiner in Zeitungspapier gewickelten Rotweinflasche, setzte sich auf einen nahen Stein und seufzte. Nein , ehrlich, es war eine Schande, dieses Kind in dieser sauber eingerichteten, kleinen Welt zu sehen. Ein paar Jahre noch, und er würde - genau wie die anderen Kinder, nur noch das Oberflächliche sehen. Er würde, genau wie die anderen Kinder seine Phantasie begraben. Sie würden ihm keine Chance lassen, das zu sein, was er wirklich war, und ihm erzählen, er müsse endlich erwachsen werden. Und so erhob er sich, strich dem Kleinen über den Kopf und sprach zu ihm: "Vergiß nie, was du zu mir gesagt hast, mein Kind, und behalte es gut, denn auch ich werde es behalten mein Leben lang". Er lächelte und verließ das Dorf, ohne sich noch einmal umzudrehen. Und doch konnte er nicht vermeiden, das Lästern der anderen Kinder zu hören, genauso wenig wie er vermeiden konnte, das Weinen wahrzunehmen, daß nun aus dem vorwitzigen Bengel herausbrach... und das Schluchzen der Einsamkeit berührte dieses alte Herz... und er dachte an den, der so war wie er, der so unverfälscht war wie er... Es mag merkwürdig klingen, aber von diesem Zeitpunkt an geschahen seltsame Dinge in dem kleinen Dorf. Zunächst einmal sei da zu erwähnen, daß die Kinder, die so selbstsicher auf den kleinen Jungen losgegangen waren, zunehmend stiller wurden. Dies lag nicht daran, daß sie stumm geworden waren, aber ein schaler Beigeschmack hatte sich dem Lästern beigemischt, so daß es keinen rechten Spaß mehr machte, gemein zu sein. Und wenn man immer nur erzählte, wie erfolgreich die eigenen Eltern doch waren und sich über andere lustig machte, ansonsten aber nichts zu erzählen wußte, dann wurde man eben still. Auch schien das Jahr nicht ganz so erfolgreich zu sein, wie die anderen Jahre, und so wurde das kleine, adrette Dorf von soviel Arbeit geplagt, daß es niemandem einfiel, sich Gedanken um den kleinen herrenlosen Streuner zu machen, der den alten Mann so sehr beeindruckt hatte. Nicht, daß der kleine Junge etwas dagegen gehabt hätte, nein. Nun endlich konnte er Beeren suchen und Zwergenwurzeln finden, konnte spielen nach Herzenslust und das einzige was ihm zu seinem Glück fehlte, war herauszufinden, wo er beginnen sollte, das Regenbogenland zu finden... Und da träumte er... er träumte von einem Tor, daß sich auf einer Waldlichtung auftat in der Nähe von Steinen, von Steinen... ja, der Steinkreis! Er erwachte zitternd vor Aufregung und Erwartung. Dort, nur dort konnte es sein, das Tor, das er suchte... Und nun wußte er, was zu tun war. In Windeseile packte er sein kleines Bündel zusammen, stahl sich in die Küche des Waisenhauses, in dem er lebte und versorgte sich mit dem, was er sonst nur an Festtagen gesehen hatte: Kuchen, Brot, Milch und Käse, in ein dickes Tuch geschlungen und husch - hinüber in die Waschküche, von der aus er ins Freie sich hinausstehlen konnte... Als der Junge das Dorf hinter sich gelassen hatte und sich dem Steinkreis näherte, begannen die Kinder im Dorf wieder zu reden. "Der Weg ins Land der Regenbögen ist weit...." murmelte der kleine Junge und lief in die Mitte des Steinkreises. Kalter Nebel umgab ihn, und eigentlich war das gar nicht so heimelig hier... er fröstelte. "Was suchst du hier? Was machst du hier? Fort! Fort!" rief da eine so wunderliche Stimme, daß der Junge lachen mußte. Und als er genauer hinsah, entdeckte er einen kleinen Wichtel, der aufgeregt um ihn herumtanzte. "Geh heim Junge, geh heim!" "Warum sollte ich das tun?" fragte der kleine Junge den Wichtel, der vor Schreck über eine Baumwurzel stolperte." Mit großen Augen starrte der Wichtel ihn an: "Du kannst mich hören? Am Ende gar sehen? Du, du du - Mensch?" Wer soll da schon ernst bleiben? Sich gar fürchten oder weglaufen?. Zu drollig sah der Wichtel aus, aufgeregt mit roten Wangen umherhüpfend und ungläubig vor sich hinschimpfend. Der kleine Junge jedenfalls nicht, und wir wissen ja alle, daß Lachen ein Zuhause schafft - Geborgenheit und Licht. Und so hörte der Wichtel schließlich auf zu hüpfen und setzte sich neben den Jungen. "Verblüffend" sprach der Naturgeist und zuckte mit den Schultern, ich dachte, ihr seid alle blind.... Ich wollte dir Angst machen, und bei allen andren hat es funktioniert.... hmm........was suchst du hier?" "Den Eingang ins Land der Regenbögen" sprach der kleine Junge. "Nun, du bist schon drin," sprach der Wichtel, "du hast die zweite Prüfung bestanden, es wird nicht die letzte sein auf deinem Weg. Von nun an sollst du Hilfe finden bei uns, die wir den Wald behüten - denn du hast uns gefunden - und bist geblieben. Unser Geschenk ist der Schutz der Erde auf der du gehst. Aber sei vorsichtig, denn du wirst nie alles sehen... und denke daran, laß dir die Namen nennen jener, die deine Führer sein wollen... es gibt Irrlichter in vielen Gestalten." Verblüfft schaute der Junge ihn an. "Du sagst, die zweite Prüfung? Ja, was war denn die erste? "Du mußtest dir selbst treu bleiben" sprach der Wichtel... Und der Junge verstand seine Geschichte zum ersten Mal... Er versprach, sich der Worte zu erinnern und lief nun auf eine Lichtung zu, die sonnendurchflutet und warm wirkte... Eine wunderschöne Fee pflückte Blumen auf diesem Felde, und die Wärme war allzu verlockend. Der kleine Junge setzte sich auf einen Baumstamm und lauschte den wundervollen Klängen... Die Fee, die sich Maria nannte, bot ihm Kuchen und Wein, und beides nahm er dankend an... schließlich tanzten sie und feierten bis, ja bis? Ehrlich gesagt, wer soll es wissen? Der kleine Junge fand die Liebe, und die Liebe kennt keine Zeit. Sie erklärte ihm die Liebe, die Wärme und daß sie überall zu finden sei, und daß man nur dieser Liebe folgen sollte, egal was man auch tat. Und der Junge nahm diese Wärme in sich auf und ließ sich tragen. Und sein Herz wurde weich für alles sanfte, sein Wesen wurde zur Liebe in dieser Zeit. Aus tiefstem Herzen wünschte er, diese Zeit, in der er seine Liebe fand würde nie enden... Doch plötzlich tauchte ein Mann auf , ungewohnt an diesem idyllischen Ort und riß die Tanzenden auseinander. "Bist du hierfür in dieses Land gekommen?" fragte er den kleinen Jungen zürnend und warf ihm sein Bündel vor die Füße. "Geh gefälligst weiter, so wie du es versprochen hast!" Und der kleine Junge wütete und trotzte und weinte entsetzlich. "Du bist böse, du nimmst mir mein Glück!" sprach er. "Du nennst noch nicht mal deinen Namen!" Der Mann schaute ihn an und sagte: "Manche nennen mich Djwal Khul - und ich komme aus dem Land, das du suchst, nun gehe auch deinen Weg" "Irrlicht!" trotzte der kleine Junge erbost - aber irgendwas war falsch an seinem Trotz... Der Ort des Tanzes war schal geworden, er wußte nicht mehr, ob es richtig war, was er getan hatte. "Du hattest kein Recht, so lange zu verweilen!" zürnte jener, der sich Djwal Khul nannte, weiter. "Was fällt dir ein, so verantwortungslos zu sein, zu tanzen, zu lachen und zu vergessen? Wer bist du kleiner Junge schon, Glück zu beanspruchen? Leistung wollen wir sehen, und wo ist sie?" Und der kleine Junge wurde schwächer und schwächer - und der Mann größer und größer. Die Welt wurde grau und dunkel und der Junge fühlte sich so schwach... "Aber..." hob er an - "aber ..." "Na, was aber!?" fragte Djwal Khul drohend und imposant. Schließlich hatte der kleine Junge die Wahl , umzudrehen oder sich zu stellen, diesem furchterregenden mächtigen Mann... "Du hast doch keinen Mumm in den Knochen, geh nach Hause" sprach Djwal Khul und versperrte den Weg. Und plötzlich wußte der Junge, daß nun der Zeitpunkt gekommen war, zu zeigen, was in ihm steckte...."Wohl habe ich Mumm in den Knochen" rief er, und entdeckte, daß er gar nicht mehr so klein war, wie er dachte. "Ich hatte den Mut, an das zu glauben, was ich suche, nun bin ich hier noch nicht am Ziel, aber unterwegs. Ich hatte den Mut, nicht vor dem ersten Naturgeist gleich wegzulaufen und ich hatte den Mut, von gefährlichen Feenspeisen zu kosten, dabei weiß doch jedes Kind, daß Feen trügerisch sein können! Ich aber hatte den Mut zu probieren und habe die Liebe gefunden und weiß nun, daß Liebe überall ist. Ich weiß nicht, wer du bist oder was du bist, aber ich weiß, daß ich lieben kann. Und ich weiß, daß das wichtig ist. Also erzähle mir nicht, ich hätte getrödelt! Oder hast du schon mal einen Regenbogen ohne Liebe gesehen?" Und er wuchs mit jedem Wort ein Stückchen weiter. Und Djwal Khul setzte sich und sagte: "Stehst du zu dem, was du mir gesagt hast?" "Ja", sagte der kleine Junge- "nur wo Liebe ist, können Farben leuchten". "So kennst du nun den Weg. Deine Kraft kann noch wachsen, denn ehrlich - ganz überzeugend bist du noch nicht, aber ich denke, ich werde dir einen Gefährten an die Seite stellen, der dich unterrichten wird." Und - wahrhaftig, er lächelte bei diesen Worten. Aus der trat nun ein weiterer Mann heraus, ein wenig zauberhaft wirkend, verschroben und mit Lachfalten um die Augen. "Nun denn, kleiner Geselle, auf zum Regenbogenland" sagte er und nickte ihm zu. Mich nennt man landläufig Saint Germain, ich werde dir deine wahren Fähigkeiten im Laufe der Zeit bewußt machen und dich aufräumen lassen mit dem, was du unnötigerweise mit dir herumträgst. Wir werden durch Wälder und Wiesen laufen... also laß zurück, was du nicht brauchst - oh Vater, was ist das denn?" Er nahm mit entsetzten Augen ein paar Lackschuhe aus dem Bündel des Jungen und schaute ihn fragend an. "Die hast du doch nicht ernsthaft so gerne, daß du sie mitnimmst oder? Plunder!!" Wahrhaftig - er sah aus, als könne er es nicht fassen. "Sie sollen mich mahnen an das, was war" sagte der kleine Junge schüchtern.. und Saint Germain hörte sich die Geschichte an... solange, bis sie nicht mehr wichtig war. Solcher Geschichten waren es viele, die noch kommen sollten und von Samthandschuhen und verhaßten Büchern endlích befreit ließ es sich tatsächlich schneller vorankommen... Das Kopfschütteln sollte indes kein Ende nehmen. Doch auch der Stolz wuchs mit jedem Tag, an dem der Junge freier und reifer wurde... Schließlich fragte Saint Germain eines Abends, nachdem sie das Land nach allen Seiten erforscht hatten, ob der Junge nun bereit wäre, auch die nächsten Schritte auf sich zu nehmen. "Wir sind jetzt lange zusammen unterwegs" sagte er bedächtig. "Du hast gelernt, zu dem zu stehen, was du tust, du hast erkannt, daß man Schuhe wegwirft, wenn sie einem nicht passen und lieber barfuß läuft, bis man seine eigenen hat. Du hast gelernt, daß Liebe überall zu finden ist und daß niemand das Recht hat, dir deinen eigenen Weg abzusprechen - du hast gelernt, daß man über Wurzeln stolpert, aber nichts wirklich Schlimmes geschieht...., wenn man im dem Land ist, in dem wir uns befinden. Ich sage dir jetzt, daß es nicht nur Zufall war, daß du hierher gefunden hast. Erinnerst du dich an den alten Mann in deinem Dorf? Er sagte einst, du sollest nie vergessen, was du ihm gesagt hast, auch er würde dich nicht vergessen. Dieser Mann entscheidet über das Schicksal aller. In großer Gnade tut er dies, niemals zu streng. Er hat uns berichtet von dir und uns gebeten, dich zu leiten. Nun bist du hier, willst du ihm danken? Dann finde deine Farben, mein Junge, soweit können wir dich leiten, der weitere Weg ist dein Weg zu ihm - willst du ihn gehen?" Der Junge schwieg, schwieg lange und Gedanken kamen und gingen. Schließlich nickte er. In großer Anmut sanken nun Zeichen und Symbole in den Jungen ein.. und als er wieder zu sich kam, war er allein, in Nebel gehüllt.... "Finde deinen Weg zu ihm!" klang es hinüber....und er erinnerte sich seiner Worte: "Der Weg ins Land der Regenbogen"... "ist weit!" rief er dem alten weisen Mann entgegen. "Genau!" erwiderte dieser lachend- und weißt du auch, du vorwitziger kleiner Kerl, wie du ihn findest? "Oh, das ist einfach", sagte der Dreikäsehoch, "du läufst immer da lang, wo deine Nase dich hinführt, und kommst du an eine Mauer, so mußt du sie wegdenken!" "Und? Was willst du im Regenbogenland, kleiner Freund?- den Topf voll Gold holen, nehme ich an?" "Ach, du bist dumm! rief er da verächtlich - was soll ich mit Gold, wenn ich dort alles sein kann, was ich will? Nein, ich will die Farben haben, die der Regenbogen hat, will schillern wie er und dann ein eigener kleiner Regenbogen werden, an dem die Menschen sich erfreuen"... Es gibt Wege, die für Betrachter verschlossen bleiben, deshalb wollen wir den kleinen Jungen nun seinen Weg gehen lassen. Doch wird er das Land der Regenbogen wohl gefunden haben..