Das Hexenteam

Kristiane Allert-Wybranietz



Es war gar nicht allzuweit weg und auch noch nicht allzulange her, da lebten eine Prinzessin und ein Prinz. Ich weiß nicht, ob sie so schön waren, wie Prinzessinnen und Prinzen in Märchen zu sein pflegten und finde es auch nicht wichtig. Auf jeden Fall liebten diese beiden einander sehr. Leider waren sie schon mit anderen Partnern vermählt, die diese Beziehung nicht gutheißen wollten. Trotzdem waren die Prinzessin und der Prinz häufig zusammen. Sie achteten einander, ließen sich gegenseitig gelten und liebten sich trotzdem - oder gerade deshalb. Nichts schien sie jemals trennen zu können. Ihr Partner und natürlich die Verwandten gaben keine Ruhe. Sie konnten sich mit einer solchen Beziehung nicht abfinden und versuchten mit allen Mitteln, das Liebespaar zu trennen. Nachdem Bitten, Drohungen, Intrigen und all die üblichen Einmischungen nichts fruchteten, entschied man sich, die Magie zu Rate zu ziehen. Es wurden einige bekannte Hexen beauftragt, dieses "Problem" aus der Welt zu schaffen. Noch am gleichen Abend tagte das Hexenteam. Es waren fähige Hexen mit viel Erfahrung zugegen: Die Hexe "Gewohnheit", die Hexe "Bequemlichkeit" und - die schlimmste von allen - die Hexe "Angst". Wie es sich für ein solch berühmtes Hexenteam gehört, erarbeiteten sie sogleich ein vortreffliches Programm, um die beiden Liebenden auseinander zu bringen und schließlich zu trennen. Die Prinzessin und der Prinz wußten von alledem nichts. Sie trafen sich weiterhin, fühlten sich wohl beieinander und bei jedem Abschied ausgeglichen, verstanden und ein kleines Stückchen reicher. Dann schlugen die Hexen zu. An diesem Tag hatte der Prinz wichtige Geschäfte zu erledigen gehabt und wäre beinahe zu spät zum Rendezvous gekommen. Es hatte ihm nicht gereicht, wie sonst immer einen Blumenstrauß für deine Geliebte zu pflücken --und warten lassen wollte er sie nicht. Seltsamerweise - war es nun Zufall oder schon Hexenwerk - hatte auch die Prinzessin keine süße Leckerei gefunden, wie sie sonst ihrem Prinzen immer eine mitgebracht hatte. Irgendwie war das Richtige nicht dagewesen oder für ihren Geliebten nicht gut genug erschienen. So standen sie sich zum ersten Male mit leeren Händen gegenüber. Ihr Zusammensein verlief harmonisch wie immer, und keiner von beiden fragte den anderen, warum er heute nichts mitgebracht habe. Die Hexe "Angst" hatte ihren ersten Einsatz. Jeder fürchtete, vom anderen zu erfahren, daß die Gefühle sich verändert hätten, vielleicht erkaltet waren, und daß deshalb Blumenstrauß und Süßigkeit gefehlt haben. Natürlich wußte jeder, daß es einfach Vergeßlichkeit gewesen sein mochte, möglicherweise Zeitmangel - aber zu fragen wagte keiner. Die Unsicherheit blieb. Auf dem Heimweg dachte jeder für sich darüber nach. Die Hexe "Angst" schlich sich nun, wo beide allein waren, ganz massiv in ihre Herzen ein. Von diesem Tag an hatten sie Angst vor der Antwort auf die nicht gestellte Frage. Wenn sie sich trafen, sprachen sie nie darüber. Aber niemals mehr brachte einer der beiden eine kleine Aufmerksamkeit mit. Jeder fürchtete, sich mit seinem Geschenk lächerlich zu machen oder abgewiesen zu werden. Ihre Beziehung zueinander veränderte sich unmerklich. Und doch spürte es jeder für sich. Die Prinzessin störte auf einmal der kühle Wind am Abend. Obwohl sie früher stundenlang im Regen beieinander gesessen hatten, entschuldigte sie sich jetzt immer öfter und ging. Der Prinz entwickelte auf einmal Interesse an Staatsgeschäften, die ihm früher nebensächlich gewesen waren. Mehr als einmal ließ er durch seinen Diener ausrichten, daß es ihm zwar leid tue, er aber bedauerlicherweise verhindert sei, wenn er mit der Prinzessin verabredet war. Sie trafen sich zwar immer noch, doch nichts stimmt mehr. Sie taten so, als sei alles wie früher, aber die Beziehung zueinander war halbherzig geworden. Keiner wollte das Gespräch in Gang bringen, dessen möglich Verlauf ihnen beiden Angst machte. Sie fürchteten, in dieser Aussprache verletzt zu werden, hatten Angst, den anderen zu verlieren oder sich zu blamieren. Schon bald hatte sich das Vertrauen ihrer Beziehung fortgeschlichen. Jetzt schöpften sie keine Kraft mehr aus der Verbindung, kamen nicht mehr froh und gestärkt von ihrem Treffen nach hause. Sie begannen sogar, eher ein wenig unter ihrer "Liebe" zu leiden. Aber die Hexe "Gewohnheit" und "Bequemlichkeit" sorgten nun dafür, daß keiner der beiden sich um einen neuen Anfang bemühte oder nach neuen Wegen Ausschau hielt. Und zu allem Übel hatte die Hexe "Angst" auch noch den Mut der beiden gefesselt. Jahre vergingen. Die Treffen der Prinzessin mit ihrem Prinzen schienen die anfängliche Faszination verloren zu haben und wurden seltener. Jeder für sich hatte sich mehr und mehr damit abgefunden, in seinem ungeliebten Schloß mit einem ungeliebten Partner und seiner verhaßten Verwandtschaft zu leben. Immerhin gab es dort Sicherheit und Gewißheit, und wenn es nur die Gewißheit war, nicht geliebt zu werden. Das war weniger beängstigend als die Ungewißheit des Geliebtwerdens. Ihre Angst schloß immer mehr aus, daß einer von beiden den Mut haben könnte, sich vor dem anderen zu öffnen, den Irrtum zu klären, ein ehrliches Gespräch zu beginnen. Sie suchten nicht mehr nach Möglichkeiten, den anderen wirklich zu erreichen, hatten den Blick für neue Wege zueinander verloren. Trotzdem: Im Grunde, jeder still für sich, liebten sie einander immer noch. In einsamen Nächten nahmen sie sich, qualvoll erfüllt von der Sehnsucht nach dem anderen, ganz fest vor, beim nächsten Treffen offen über ihre Gefühle, ihre Wünsche und Unsicherheiten zu sprechen. Ohne es voneinander zu wissen, hofften beide, daß alles wieder so werden würde wie damals ... Bis heute haben sie es nicht gewagt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch heute noch nicht das, was sie füreinander fühlen.


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